THEMENTAG: Selbstsorge als Praxis der Freiheit? Zwischen Optimierungszwang und Selbstentwurf
Ort: LOFFT - DAS THEATER
Öffentliches Kolloquium mit Impulsvorträgen, Workshops, Gesprächen und Praxisformaten - kuratiert von der Internationalen Gesellschaft für Philosophische Praxis (IGPP)
Das Kolloquium lädt zum Dialog über Selbstsorge als Praxis der Freiheit ein. Wir erkunden, wie die in der Antike als philosophischer Auftrag verstandene Selbstsorge aktuell verortet ist und inwiefern sie über die individuelle Ebene hinausgeht und in das gesellschaftliche Gefüge eingreift. Welche Rolle spielt sie sowohl für die persönliche Freiheit als auch in Bezug auf die kollektive Verantwortung? Wir werfen einen kritischen Blick auf die allgegenwärtigen Tendenzen zur Selbstoptimierung und beleuchten die existenziellen Grundlagen von Selbstentwurf und Selbstbestimmung. Unsere Diskussionen loten das Spannungsverhältnis von Selbstfürsorge und Gemeinschaftsorientierung als eine gegenseitige Bezogenheit aus. Wir fragen auch, wie die Philosophische Praxis die Menschen im Verstehen des Selbst, der Anderen und der Welt unterstützt, und wie durch diese Praxis eine tiefere Sorge um die Gemeinschaft ermöglicht und solidarisches Handeln gefördert wird. Ausgehend von Impulsvorträgen, Workshops und Praxisformaten bietet die Veranstaltung Raum für den Austausch über die Bedeutung der Selbstsorge in Bezug auf Freiheit, Autonomie und Mut. Ziel ist es, ein Verständnis für die komplexen Beziehungen zwischen Selbstsorge, Freiheit und politischer Wirksamkeit zu entwickeln.
Programm
09:30 Uhr Eröffnung des Kolloquiums: Ute Gahlings
09:45-11:00 Uhr: Keynote Heidemarie Bennent-Vahle: Gefühle und die Selbstsorge als Tugendkultur, anschließend Gespräch (Moderation Cornelia Mooslechner-Brüll)
Mit Kai Kranner
Immer mehr Menschen können sich durch ihre Arbeit existenziell nicht mehr genügend absichern. Selbstsorge wird dann immer mehr zur selbstausbeutenden Optimierung. Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte die Freiheit, auch politisch wieder zu handeln, gewährleistet werden. Kann und soll die Philosophische Praxis dazu ermuntern?
11:15-12:45 Uhr
Mit Ana Honnacker
Die gegenwärtigen ökologischen Krisen, die sich im Begriff des Anthropozäns bündeln lassen, stellen uns nicht nur vor enorme politische und soziale Herausforderungen, sondern lenken zunehmend den Blick auch auf existentielle Fragen. Ziel des Workshops ist es, Anregungen dafür zu geben, was es heißen könnte, angesichts von Phänomenen wie Klimakrise oder Artensterben ein gelingendes Leben zu führen. Das beinhaltet zum einen, bestehende kulturelle Praktiken kritisch zu hinterfragen, zum anderen, eine Haltung zu entwickeln, die weder auf falscher Hoffnung beruht noch in Verzweiflung mündet.
11:15-12:45 Uhr
Mit Bernd Bösel
Die Theorie des Enthusiasmus (wörtlich: Gotterfülltheit) hat ihren historischen Beginn bei Platon. Er unterscheidet vier Formen, je nachdem von welcher Gottheit ein Mensch in ‚Besitz‘ genommen wird. Damit eröffnet Platon die Möglichkeit, von verschiedenen Kulturen des Enthusiasmus zu sprechen und die mythische Bildlichkeit in unsere Gegenwart zu übertragen. Der Workshop wird sich mit der Frage beschäftigen, worin die Besonderheit des philosophischen Enthusiasmus besteht und wie sich dieser kultivieren lässt.
11:15-12:45 Uhr
Mit Dietlinde Schmalfuß-Plicht
In diesem Workshop soll untersucht werden, wie es möglich sein kann, dem eigenen Älterwerden bis in das hohe Alter hinein mit Würde zu begegnen. Wie kann ein alter Mensch, der zunehmend auf Hilfe von außen angewiesen ist, seine Selbstbestimmtheit selbstsorgend bewahren? Wie kann er den Anspruch darauf vermitteln? Wie wird es ihm möglich sein, weiterhin ein Teil der Gesellschaft zu bleiben, der sich zeigen kann und wahrgenommen wird? Nicht zuletzt soll gefragt werden, welche Möglichkeiten es für die Akteure Philosophischer Praxis gibt, in diesem Kontext wirksam zu sein.
11:15-12:45 Uhr
Mit Roger Künkel
Die Freiheit des Körpers ist der Freiheit des Geistes nachgesetzt. Sowohl die Freiheit des Körpers als auch die Freiheit des Geistes verwirklicht sich individuell wie sozial. Letzteres beginnt bei der interpersonalen Dyade und reicht – besonders in heutiger Welt – bis hinein ins Globale. Um dieses Miteinander zu ermöglichen, gilt es, dem anderen hörbar zu werden und zu bleiben. Philosophie, und hier im Besonderen, Philosophische Praxis müssen einen weiten Horizont innehaben, um hörbar zu sein. Dieser Horizont ist heute ein auch interkultureller. Eine Seite des interkulturellen Denkens erwuchs und erwächst den vielfältigen Kulturen des afrikanischen Kontinents.
Im Workshop wird interaktiv ein Überblick der afrikanischen Philosophietraditionen in Hinblick auf den interkulturellen Dialog erarbeitet. Er ist in drei Sektionen unterteilt: 1. Die Notwendigkeit des Interkulturellen, 2. Die Möglichkeit des Interkulturellen Philosophierens, 3. Die Möglichkeit des Interkulturellen Philosophierens anhand der afrikanischen Philosophietraditionen.
11:15-12:45 Uhr
14:00-15:30Uhr: Fishbowl-Diskussion: Ist Selbstsorge eine Praxis der Freiheit?
Mit Ute Gahlings
Fitness, Schönheit, Gesundheit, planbare Elternschaft etc. – wir sind vielfach aufgefordert, den Körper als objektivierbaren Leistungsträger zu instrumentalisieren und stets optimal verfügbar vorzuhalten. Zudem sind wir gerade in biographisch relevanten körperlichen Umbruchphasen einem starken Normierungsdruck ausgesetzt. Wie aber verhält sich dazu die Selbstgegebenheit des Leibes und wie kommen die leiblichen Weisen der Selbstwerdung und des Selbstseins zum Tragen? Wie kann im Schatten der Imperative umfänglicher Selbstermächtigung ein Leben mit den pathischen Weisen leiblicher Existenz gelingen? Wie gewinnen wir Haltung gegenüber den Grenzen der Freiheit? Dies versucht der Workshop in Gesprächen und Übungen auszuleuchten, wobei es auch darum gehen soll, wie Philosophische Praxis dazu beitragen kann?
16:00-17:30 Uhr
Mit Albert Hoffmann
Und was, wenn die Fortsetzung der kritischen Theorie gerade darin bestünde, die Vernunftseiten der Nacht in den Fokus zu rücken, wenn doch diese Theorie, insbesondere in der Dialektik der Aufklärung, die Nachtseiten der Vernunft an den Tag brachte? Was könnte es für Philosophische Praxis bedeuten, die Heteronomie im Kern der Autonomie und das Geheimnis im Kern des Wissens zur Geltung zu bringen, ohne dabei dem Fanatismus, dem Zynismus und der Dummheit Vorschub zu leisten? Sollten wir uns am Ende ein Beispiel an Dornröschen und dem Froschkönig nehmen, die durch einen Kuss in die Freiheit entlassen wurden oder an Odysseus, der nur gefesselt seine Freiheit behalten konnte?
16:00-17:30 Uhr
Mit Johanna Kosch
In diesem zweiteiligen Workshop werde ich zunächst meinen im Wiener Universitätslehrgang als Projektarbeit entstandenen Workshop Reflective Selfcare-Workshop zu Selbstsorge und Selbsterkenntnis für Frauen* vorstellen, welchen ich in abgewandelter Form mit dem Titel Selbstsorge und Leiblichkeit nun bereits im vierten Semester an der Universität Ulm als additive Schlüsselqualifikation mit Studierenden durchführe.
Die Hauptthemen des vorgestellten Workshops sind die Begriffe Selbstsorge und Selbsterkenntnis, ausgehend vom antiken philosophisch-ethischen Imperativ, man möge sich um sich selbst kümmern, als ein Initial der Auseinandersetzung mit dem eigenen Leib. Im praktischen Mittelpunkt des Workshops steht die Biographiearbeit, welche sich auf Leiberfahrungen konzentriert. Ausgehend von Helmut Plessners Satz, dass wir unser Leib sind und unseren Körper haben, wird die These vertreten, dass das Leib-Sein weniger im Bewusstsein ist, als das Körper-Haben. Dieses Bewusstsein gilt es zu wecken und zu stärken. Wie kann der eigene Leib zur Welt situiert werden? Wie gehen wir mit Schicksalsschlägen, Krankheit, dem Altern, dem Geschlecht, der eigenen Vergänglichkeit und der Instrumentalisierung und der Funktionalisierung des Leibes in unserer hochtechnisierten Gesellschaft um?
Auf der Grundlage der Analyse und Auswertung der von den Teilnehmenden verfassten Reflexionsberichte im Anschluss an das Seminar und den darin beschriebenen Themen und Struggles der (jungen) Teilnehmenden, möchte ich im zweiten Teil mögliche Fragestellungen für die Philosophische Praxis in Bezug auf das Thema Selbst(für)sorge im Spannungsfeld moderner Selfcare aufzeigen und zur gemeinsamen Diskussion stellen. Gleichzeitig bietet mein Workshop Einblick in das Anwendungsgebiet Philosophischer Praxis im akademischen Umfeld.
16:00-17:30 Uhr
Mit Marc Ulrich
Schöpferische Freiheit ist die Offenheit für Möglichkeiten bei gleichzeitiger Entscheidungsfähigkeit, Möglichkeiten auszuwählen und zu verwirklichen – und zwar in jeder Situation von Neuem. Diese Freiheit wird zur eigenen, wenn das Individuum sich fortwährend existenziell selbst befragt und dadurch das je Eigene entdeckt, das es in die Welt bringen will und kann. Die Vernachlässigung dieser Art der Selbstsorge birgt das Risiko, dass sich das Individuum durch schlichte Anpassung an die Gesellschaft oder durch destruktive Auflehnung gegen sie von sich selbst entfremdet. Existenzielle Selbstsorge ist die grundlegende Reflexion und Gestaltung des im tiefsten Sinne eigenen Lebens.
16:00-17:30 Uhr
Datum und Uhrzeit: Samstag, 5. Oktober 2024, 09:00 - 17:30 Uhr
Ort und Anschrift: LOFFT - DAS THEATER, Spinnereistraße 7, Halle 7, 04179 Leipzig
Eintritt: 15,00 Euro, ermäßigt 10,00 Euro, Soliticket 20,00 Euro (jeweils zzgl. VVK-Gebühr), Festivalticket gültig
Anfahrt: https://www.lofft.de/anfahrt